Die Linke und der Osten – linke emanzipatorische Politik in Ostdeutschland, aber wie?

Thesen// Paneldiskussion// Denkwerkstatt

Wir denken, dass die Linke in Ostdeutschland sich den Herausforderungen Ostdeutschlands stellen muss, und dies derzeit nicht ausreichend tut. Wir haben uns Gedanken gemacht und für den 8. September 2023 ein Panel über die sehr konkrete Herausforderung für linke Politik in Ostdeutschland zusammengestellt. Darüber hinaus wollen wir gerne auf Basis der gehörten Inputs und euren Erfahrungen und Zugängen über linke Wege diskutieren. Wir haben selbst auch ein paar Thesen aufgestellt, die wir zur Diskussion geben wollen.

1. Paneldiskussion am Freitag, 8. September ab 17:00 im Interim, Demmeringstraße 32, 04177 Leipzig:

Die Linke und der Osten – linke emanzipatorische Politik in Ostdeutschland, aber wie?

Die gesellschaftlichen Verhältnisse in Ostdeutschland sind auch über 30 Jahre nach der Wende andere als in Westdeutschland. Die krassen Erfahrungen ökonomischer Umwälzung, Enteignung und Delegtimierung von Lebenswegen und -erfahrungen einerseits, ein Mangel an Demokratieerfahrungen und weit verbreitete menschenfeindliche Einstellungen andererseits, prägen den Osten bis heute und werden es noch lange tun.
Der Umgang mit dem Osten und den Menschen im Osten ist weiterhin ein großes Thema von Wissenschaft und Politik. Insbesondere extrem rechte Akteure beziehen sich auf 1989 und adressieren eine Ostidentität,  um gegen Marginalisierte zu hetzen.
DIE LINKE hat keine Antworten, wie mit Forschungsergebnissen zu und Beschreibungen von Ostdeutschland umgegangen werden soll. Ihre Relevanz im Osten sinkt, ihre Antworten auf die Brüche in Ostdeutschland bleiben unterkomplex.
Wir wollen in die Debatte kommen um Antworten näher zu kommen und eine Basis für eine kluge Ostdeutschlandpolitik von links zu entwickeln, eine die den verschiedenen Facetten von Vergangenheit und Gegenwart gerecht wird. Wir haben Inputgeber*innen eingeladen, die sich wissenschaftlich, analytisch, oder politisch von diversen Perspektiven dem Gegenstand nähern. Wir wollen uns den Fragen der Ökonomie widmen, uns neuere kulturelle Zugänge anschauen und (post-)migrantische Perspektiven erörtern.

Paneldiskussion am Freitag mit
Dominik Intelmann ( Humangeograph, Goethe-Universität Frankfurt/Main) , Lena Saniye Güngör (Psychologin, Ethikerin, Mitglied des Landtages Thüringen für DIE LINKE), Katalin Gennburg (Urbanistin, Mitglied des Abgeordnetenhauses Berlin für DIE LINKE) , Jonas Brückner (Kulturwissenschaftler, Universität Freiburg )

2. Am Samstag, 9. September 2023 wollen wir im Rahmen einer Denkwerkstatt weiterdiskutieren: ab 11:00 Uhr ebenfalls im Interim, Anmeldung erwünscht unter kontakt a t linxxnet.de

 

3. Unsere Thesen:

 

These 1
Einerseits sind die gesellschaftlichen Verhältnisse in Ostdeutschland andere als in Westdeutschland:
Die Folgen der Eingliederung der DDR, bspw die weit verbreitete Arbeitslosigkeit im Zuge der Deindustrialisierung des Ostens nach 1990, sind heute immer noch spürbar; ablesbar u.a. an der Zahl der Langzeitarbeitslosen, Alterschnitt & Abwanderung. Die Eigentumsverhältnisse im Osten sind anders gelagert, zugespitzt formuliert: Der Osten gehört dem Westen. (Immobilien, Firmen, Kapital). Die (fehlenden) Demokratieerfahrungen im Osten, weit verbreitete autoritäre und rassistische Einstellungen, und rechte bishin zu neonazistischen Mobilisierungen – kombiniert mit der Abwesenheit staatlicher Ordnungssysteme in den Jahren nach der Wende – wirken ebenfalls bis heute nach (und werden dies noch lange tun).
Dies wird verschiedentlich negiert, bzw. werden spezifisch ostdeutsche Erfahrungen nicht ernst genommen. Diese Erfahrungen sichtbar zu machen, mussten (und müssen) sich Ostdeutsche erkämpfen, auch dann, wenn sie die Kategorie “Ostdeutsch” garnicht als Teil ihrer Identität für sich herausstellen wollen.
Andererseits wollen diverse Apologet*innen ostdeutscher Identität diese zu einer Art Ethnie erweitern. (Stichworte: “Ostdeutschlandforschung”, “Ossiquote”, “Diskriminierung von Ostdeutschen”; die Debatte um die Studie von Prof.Dr. Naika Foroutan: Ost-Migrantische Analogien (Vergleich der Erfahrungen von Ostdeutschen und Migrant*innen))

These 2
Nach 90 kam es zu gesellschaftlichen und biografischen Umwälzungen in Ostdeutschland, die bis heute andauern oder Auswirkungen haben. Arbeit, Wohnen, Schule, Familie, Studium, Zukunft, waren von heute auf morgen anderen Prinzipien unterworfen. Betriebe wurden privatisiert und in der Regel danach geschlossen, obwohl Betriebsangehörige nicht die Chance hatten, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Studienabschlüsse wurden nicht anerkannt, Menschen aus ihren Berufen ausgeschlossen, sie mussten woanders Arbeit suchen, da in Ostdeutschland in den 90ern Massenarbeitslosigkeit herrschte.
Häuser, in denen Menschen wohnten, wurden verkauft, natürlich hatte keine*r der darin Lebenden Kapital, um es selbst zu kaufen, Besitzverhältnisse verlagerten sich in den Westen. Die Lebensarbeitszeit Ostdeutscher wird auch heute nicht komplett anerkannt und spiegelt sich in schlechteren Renten wieder.

These 3
DIE LINKE hat, weil die PDS eine der Parteien war, die DIE LINKE gegründet hat, das Erbe der SED mitgenommen. Eine Kritik der DDR aus der Sicht von demokratische Sozialist*innen ist deshalb der ostdeutschen LINKEN wichtig. Hier ist auch davon zu reden, dass die DDR kein sozialistisch-libertärer, “Guter Staat” war, sondern extreme Hierarchien, Abhängigkeiten, Vasallentreue, schwarz-weiss/Freund-Fein-Denken etc.
Die LINKE ist in Ostdeutschland eine Partei, die Wahlergebnisse wie eine Volkspartei bekommen hat. Die meisten Abgeordneten der LINKEN kommen aus Ostdeutschland, das ist ein Spezifikum DER LINKEN. Für DIE LINKE war  (und ist) der Osten das Fundament.

These 4
Es gibt ein neues Verständnis der Generation, die die Wendeerfahrung durch ihrer Eltern vermittelt bekam, aber die Wende nicht selbst durchlebt hat. Arbeit, Wohnen, Schule, Familie, Studium, Zukunft hat sich für diese Generation nicht von heute auf morgen verändert, aber sie wissen, dass es anders ist, als zur Zeit ihrer Eltern.
Ostdeutsche Eigentumsverhältnisse, Arbeitskämpfe, Kämpfe um Erfahrungen werden inzwischen erforscht und beschrieben von Akteur*innen, die unter 40 sind.

These 5
Die ostdeutsche Identität wird derzeit von AfD bis CDU beschworen, um Autoritarismus und Rassismus in Ostdeutschland zu verharmlosen und nicht über Ungleichheiten reden zu müssen. Sie beziehen sich auf die  Biografien der sogenannten “Wendeverlierer*innen”, um gegen Marginalisierte zu hetzen (AfD) oder vom eigenen politischen Versagen abzulenken (CDU). Bewegungen berufen sich auch auf 1989, um autoritäre Umsturzphantasien zu propagieren. Prägend für rechte “Karrieren” in Ostdeutschland sind für die Wendegenerationen hier auch die Erfahrungen, dass die Politik das Grundrecht auf Asyl im Zuge der Pogrome in Rostock und Hoyerswerda, etc. abschaffte. Gern wird dann so getan, als wäre dies auch die ostdeutsche Identität und damit verschwiegen, dass es linke und antirassistische Aktivist*innen gab und gibt, die bereits zur Wende aktiv waren. Bis heute wird gern verschwiegen, dass während und nach der Wende auch Faschos bei den Montagsdemos zu finden waren.

These 6
DIE LINKE hat keine Antworten, wie mit Forschungsergebnissen zu und Beschreibungen von Ostdeutschland umgegangen werden soll. Was sind Lösungsansätze, um die Probleme anzugehen? Wie geht DIE LINKE damit um,  dass Faschist*innen eine Ostidentität anrufen, aber nicht um Ungleichheiten zu beseitigen? Was machen mit den Menschen, die quasi nach Beherrschung schreien, die Biografiebrüche und Abwertungserfahrungen haben, dies aber nicht als Moment der Empathiefähigkeit nutzen, sondern um Marginalisierten und Vereinzelten mindestens das anzutun, was auch ihnen angetan wurde, oder was sie glauben, was ihnen hätte angetan werden können.

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