Haarscharf war es am 1. September 2024 in Sachsen für Die Linke. Nur durch zwei Direktmandate gelang unserer Partei der Wiedereinzug in den Sächsischen Landtag. Mit einem Zweitstimmenergebnis von 4,5 % wurde der Fraktionsstatus gesichert. Mit sechs Abgeordneten arbeiten wir als Fraktion nun seit dieser emotionsgeladenen Wahlnacht. Gleichzeitig hat sich das Gefüge, in dem wir parlamentarisch arbeiten, grundlegend geändert. Die Bildung einer stabilen Regierung scheiterte an den Avancen des BSW. CDU und SPD rauften sich zu einer Minderheitsregierung zusammen, die mit der Wahl des Ministerpräsidenten am 18.12.2024 ihre Arbeit aufnahm. Erstmals in der Geschichte des Landes Sachsen gibt es im Landtag keine Regierung mit eigener Mehrheit mehr.
Das bedeutet Veränderungen in den Abläufen und in der Haltung vor allem bei der CDU, die die Linke bekanntermaßen über 30 Jahre lang fast verteufelte und systematisch nach weit nach rechts blinkte. Doch auch für uns ist die Lage herausfordernd. Denn die CDU prägte das Land seit der politischen Wende komplett gegen unsere Vorstellungen, machte Sachsen zum Niedriglohnland und schuf ein fast klientelistisches System: Wer etwas werden oder vom Kuchen etwas abhaben will, muss Mitglied der CDU sein oder ihr zumindest nicht widersprechen.
Im Landtag verfügen CDU und SPD über 51 der insgesamt 120 Stimmen, das BSW über 15, die Grünen über 7. Unsere sechs Stimmen allein reichen genauso wenig wie die der Grünen um Mehrheiten zu finden. Dem gegenüber steht ein Block von 40 Sitzen der gesichert rechtsextremen AfD.
Um in dieser Konstellation ein Verfahren für gemeinsame Beschlüsse zu finden und dabei nicht auf die Stimmen der extrem rechten Fraktion angewiesen zu sein, wurde im Februar dieses Jahres ein sogenannter Konsultationsmechanismus beschlossen. Dieser regelt ein mehrstufiges Verfahren für parlamentarische Initiativen, das absichern soll, dass die Perspektiven und konkreten Änderungsvorschläge der Nicht-Regierungsfraktionen in Vorhaben einfließen können (https://www.staatsregierung.sachsen.de/saechsischer-konsultationsmechanismus-9153.html). Im Zuge der Konsultation werden die Anliegen aller Beteiligten auf den Tisch gelegt, diskutiert und im besten Fall in die Beschlussvorlage eingearbeitet. Für uns war dabei wichtig, dass die Urheberschaft der Änderungen für die Öffentlichkeit sichtbar ist.
Als Linke konnten wir bereits einen Erfolg erzielen: Der 8. Mai ist seit diesem Jahr in Sachsen ein Gedenktag der Befreiung. Der entsprechende Gesetzesentwurf passierte am 26. März mit den Stimmen von CDU, SPD, Grünen und BSW den Landtag. Unser Antrag zur Entlastung der Pflegekassen wurde inzwischen im Ausschuss positiv votiert, genau wie der Koalitionsantrag zur Verbesserung der frühkindlichen Vorschulbildung mit unseren Änderungen den Landtag passierte. Das Verfahren spielt sich also ein.
Nachdem alle Initiativen der Linken im Landtag seit 1991 von der Regierungsmehrheit stoisch abgelehnt wurden, ist das, was wir nun im Landtag erleben, durchaus eine neue politische Kultur, gleichzeitig aber auch nicht mehr und nicht weniger als eine Normalisierung des parlamentarischen Verfahrens.
Dem parlamentarischen Konsultationsverfahren wollen wir ein gesellschaftliches zur Seite stellen. Darum luden wir im April vielfältige Akteure der Zivilgesellschaft in den Landtag ein, um die neuen Verhältnisse und unsere Rolle vorzustellen und zur Diskussion zu stellen. Die über 100 Teilnehmenden der Veranstaltung brachten zum Ausdruck, dass die Erwartungen an uns groß sind, gerade im Hinblick auf die Haushaltsverhandlungen. Denn der von der Minderheitsregierung im März vorgelegte Entwurf des Doppelhaushalts 2025/26 enthält zahlreiche Kürzungen in zentralen sozialen, demokratie- und kulturpolitischen Bereichen. Unsere Haltung und unser Abstimmungsverhalten dazu wurden und werden an vielen anderen Stellen diskutiert.
Als Linksfraktion im Landtag haben wir unsere Rolle als verantwortungsvolle Opposition beschrieben. Wir werden weiter den Finger in die Wunde legen, die Anliegen ausgegrenzter und deklassierter Menschen ins Parlament tragen, für progressive gesellschaftliche Veränderungen und soziale Verbesserungen kämpfen, das Handeln der Regierung kritisch hinterfragen und Ressourcen umverteilen. Die konkrete parlamentarische Arbeit an Anträgen und Gesetzesentwürfen, die wir selbstverständlich auch in vorangegangenen Legislaturperioden geleistet haben, bekommt jetzt eine neue, konkretere Bedeutung. Kurz: Wir sind als Fraktion so klein, aber potenziell so einflussreich wie nie. Dies erfordert viel Kommunikation, Reflexion und das Bewusstsein, dass nicht jeder Kompromiss ein guter ist, den wir mittragen können und müssen.
Kompliziert macht die Szenerie zusätzlich, dass alle Oppositionsfraktionen zusammen eine gemeinsame Mehrheit gegen die Minderheitsregierung haben. Während wir als Linke und die Grünen eine klare, politisch begründete Abgrenzung zur AfD vertreten, fungiert das BSW inzwischen als Steigbügelhalter der Faschisten und trägt zur weiteren Normalisierung der Menschen- und Demokratieverächter bei. Nichtsdestotrotz sind wir nicht gefeit davor, dass es für parlamentarische Initiativen eine Mehrheit der Oppositionsparteien geben kann. Dieses Szenario erfordert von uns doppelte und strategische Sensibilität: Wir wollen Mehrheiten mit der AfD vermeiden und müssen gleichzeitig glaubhaft für unsere politischen Inhalte einstehen. Was geschieht, wenn einer unserer Anträge eine Mehrheit mit der AfD erlangt? Sollen wir einer BSW-Initiative eine Mehrheit mit der AfD verschaffen?
Die neue Konstellation und die neuen Abläufe im Landtag sind für uns als kleine Fraktion durchaus herausfordernd. Um diese gut zu meistern, brauchen wir vor allem auch Feedback aus der Partei und aus außerparlamentarischen Zusammenhängen, was wiederum voraussetzt, dass wir unsere Arbeit und die Herausforderungen transparent machen und gemeinsame Räume zur Debatte finden.
Scheut euch nicht, uns einzuladen und diese Transparenz und Debatte auch einzufordern!
von Jule Nagel, Juni 2025