Statement des linXXnet zur aktuellen Debatte um die Polizei

Mit diesem Text wollen wir all jenen Menschen eine Stimme geben, die sich mit den bedingungslos polizeisolidarischen Statements, die auch Linke im Zuge der aktuellen Debatte formulierten, nicht identifizieren können. Gemeinsam möchten wir stattdessen für eine differenzierte, faktisch fundierte und vor allem wirklich linke Position gegenüber der Polizei eintreten.

Am 25. Mai 2020 wird George Floyd in Minneapolis von einem Polizisten brutal festgenommen und getötet. Es entbrennen massive Proteste, die über den Ozean auch nach Europa und nach Deutschland schwappen. Große Demonstrationen der Solidarität mit von Rassismus und rassistischer Polizeigewalt Betroffenen füllen auch in der Bundesrepublik die Straßen.

Endlich findet diese wichtige, zu oft beiseite geschobene Problematik Eingang in die breite öffentliche Debatte und macht sichtbar, was totgeschwiegen wurde: Rassismus ist – auch in den Behörden und auch in der Polizei – kein vereinzeltes Problem, sondern ein strukturelles.

Die Parteinahme der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken für die vielen Black and People of Color, die auf den Plätzen der Bundesrepublik über ihre eigenen negativen Erfahrungen mit der Polizei sprachen, sorgte für Stürme der Entrüstung. Das zufällig in dieser Zeit in Berlin erlassene Antidiskriminierungsgesetz, welches auch Behörden an den im Grundgesetz verfassten Gleichbehandlungsgrundsatz bindet und es Betroffenen von Diskriminierung erleichtert, ihre Rechte durchzusetzen, brachte wütende Vertreter*innen der Polizeigewerkschaften und konservative Politiker*innen auf den Plan. Der Bundesinnenminister sprach sogar von einer „Diskriminierung“ der Polizei durch das Gesetz.

Viele Reaktionen auf die aktuellen politischen Debatten und Maßnahmen zeigen, dass die Polizei noch immer einen Status als „heiliger Gral“ hat. Kritiker*innen polizeilichen Handelns wird schnell vorgeworfen, zu pauschalisieren, mit Recht und Gesetz zu fremdeln oder gar staatsfeindlich zu sein. Auf diese Weise wird Kritik delegitimiert und die Polizei vor Kritik immunisiert.

Mitten im Chor der bedingungslosen Verteidiger*innen der Polizei finden sich in den vergangenen Wochen immer wieder Funktionsträger*innen unserer Partei.

„Rassismus in der Polizei muss wie überall konsequent bekämpft werden. Die Polizei aber unter den Generalverdacht des Rassismus zu stellen, ist falsch. Polizistinnen und Polizisten verdienen mehr Anerkennung.“, twitterte der Vorsitzende der Linksfraktion im Deutschen Bundestag, Dietmar Bartsch , beispielsweise  am 9. Juni 2020.

Auch unmittelbar nach den gewaltsamen Ausschreitungen in Stuttgart stimmte er am 21. Juni via Twitter in den Tenor der Law-and-Order-Politiker*innen ein, ohne dass zu diesem Zeitpunkt bereits die Hintergründe der Geschehnisse bekannt waren.
Dabei haben wir erst vor wenigen Monaten anhand der medialen Aufarbeitung der Silvesternacht am Connewitzer Kreuz erlebt, wie die Polizei zuweilen in ihrer Öffentlichkeitsarbeit als politischer Akteur agiert und die Debatte zugunsten konservativer und rechter Positionen beeinflusst, die nach mehr Repression, mehr Befugnissen und mehr Militarisierung der Polizei schreien.

Mit diesem Text wollen wir all jenen Menschen eine Stimme geben, die sich mit den bedingungslos polizeisolidarischen Statements, die auch Linke im Zuge der Debatte formulierten, nicht identifizieren können. Gemeinsam möchten wir stattdessen für eine differenzierte, faktisch fundierte und vor allem wirklich linke Position gegenüber der Polizei eintreten.

Wir erheben keinen Generalverdacht. Natürlich sind nicht alle Polizist*innen rassistisch. Tatsächlich ist die Polizei im Zuge der aktuellen Diskussion auch noch von keiner Seite „unter den Generalverdacht des Rassismus“ gestellt worden. Die einzigen, die jenes behaupten, sind konservative und rechte Politiker*innen sowie die Wortführer der Polizeigewerkschaften, welche mit verzerrten Statistiken über tätliche Angriffe auf Polizeibeamt*innen und vermeintlich mangelnde Anerkennung der Polizei in der Bevölkerung alle Polizist*innen als Opfer inzenieren und somit eine Emotionalisierung der Diskussion erreichen wollen, die ihnen sehr gelegen kommt. Schließlich lässt sich damit umso einfacher verschleiern, dass die Regierungen und großen Polizeigewerkschaften letztendlich die Schuld daran tragen, dass wir strukturellen Rassismus und demokratiefeindliche Bestrebungen innerhalb der Polizei nur als „Verdächtigungen“ benennen können – denn seit jeher stemmen sich CDU, DPolG und GdP mit aller Kraft gegen tiefgreifende Studien zu diskriminierenden Einstellungen bei der Polizei, unabhängige Beschwerdestellen, eine Dokumentationspflicht von Personenkontrollen oder eine Kennzeichnungspflicht, also schlichtweg jede Form der demokratischen Kontrolle und Transparenz polizeilichen Handelns.

Umso weniger können wir deshalb nachvollziehen, weshalb Linke auf das kalkulierte Empörungskarussell über einen angeblichen Generalverdacht gegenüber der Polizei aufspringen und damit konservative und rechte Schlagworte reproduzieren, statt differenziert und kritisch auf die offensichtliche Schieflage der Debatte einzugehen.

Weiterhin müssen wir auch ohne eine breite Faktenlage zur Kenntnis nehmen, dass es im Polizeiapparat ein strukturelles Rassismusproblem gibt und dass die Aufgaben, die der Polizei als Teil der Exekutive zugewiesen sind, auch das Exekutieren von staatlichem Rassismus bedeuten.

Anhand zahlreicher aufgedeckter Missstände, zum Beispiel Ermittlungen gegen Polizeibeamte wegen der Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole, der Zugehörigkeit zur Reichsbürgerszene, vgl. https://www.deutschlandfunk.de/rechtsextremismus-bei-der-polizei-zu-viele-einzelfaelle.724.de.html?dram:article_id=466389, das rechte Netzwerk in der hessischen Polizei, die rassistische Hetze in einer Chatgruppe von sächsischen Polizeischülern, der Umgang mit Journalisten (etwa der „Hutbürger“-Skandal), rechte Verstrickungen (Stichwort: Nordkreuz-Gruppe, angeleitet von einem LKA- und SEK-Beamten) und Ermittlungsgebahren wie beim NSU-Komplex, lässt sich aus unserer Sicht sagen: Die Polizei ist nicht einfach nur ein Spiegel der Gesellschaft – autoritäre, konservative und diskriminierende Einstellungen finden sich hier verdichtet wieder.

Soziolog*innen wie der Polizeiforscher Rafael Behr weisen darauf hin, dass sich diese Einstellungen oft im Laufe einer Polizeikarriere ausbilden. Und es ist gerade die Abgeschlossenheit von Teilen des Polizeiapparates, es sind unhinterfragte rassistische oder politische Feindbilder bei Polizeibeamt*innen, es ist ein Korpsgeist und es ist die mangelnde demokratische Kontrolle, die interne Selbstreflexion und Veränderungen verhindern.

Darum ist es für uns als LINKE mehr als angebracht, eine kritische Position zu polizeilichem Handeln zu vertreten, anstatt sich wieder und wieder vollumfänglich und kritiklos an deren Seite zu stellen.

Viele von uns haben in ihrem politischen Wirken Polizeigewalt erlebt. Und wir wissen zu gut, dass die Ahndung derselben wohlüberlegt sein muss. Entweder führen Anzeigen ins Leere, oder dazu, dass wir selbst angezeigt werden. In diesem Sinne ist unser Platz als LINKE an der Seite derer, die durch die Staatsgewalt entrechtet und entmündigt werden. Wir sind verantwortlich dafür, illegitime Polizeigewalt anzuprangern und Ideologien der Ungleichwertigkeit innerhalb des Polizeiapparates klar zu benennen und zu bekämpfen.

Wir stehen als Mitglieder und Freund*innen der LINKEN in unserer täglichen Arbeit an der Seite derer, die in der Nähe der Bahnhöfe von der Polizei kontrolliert werden, weil sie eine andere Hautfarbe haben. Wir stehen vor der Tür unserer Freund*innen, die von der Polizei abgeholt werden um abgeschoben zu werden. Wir sitzen in der Blockade nebeneinander, um Neonazis den Weg zu versperren und passen aufeinander auf, wenn die Polizei uns räumen will. Wir hinterfragen polizeiliche Pressemeldungen und stellen Gegenöffentlichkeit her, wenn Medien diese einfach übernehmen. Wir arbeiten in Untersuchungsausschüssen, Parlamenten und im Ehrenamt an der Aufdeckung rechter Netzwerke und stoßen dabei nicht selten auf Verflechtungen auch in die Polizei.

Wir arbeiten auf allen Ebenen für soziale Sicherheit und solidarische Nachbarschaften anstelle von Überwachung und Kontrolle. Auf den verschiedenen parlamentarischen Ebenen und in außerparlamentarischen Initiativen und Bündnissen streiten wir letztendlich für eine grundlegende Reform der Polizei. Das bedeutet unter anderem die Einführung einer Kennzeichnungspflicht, eine unabhängige Beschwerdestelle für Polizeibeamt*innen und Bürger*innen, die Auflösung geschlossener Polizeieinheiten, das explizite Verbot von Racial Profiling, die Dokumentationspflicht von Personenkontrollen und die Stärkung von Demokratie- und Menschenrechtsbildung im Rahmen der Polizeiausbildung.

Wir appellieren an den Vorsitzenden der Linksfraktion im Deutschen Bundestag, Dietmar Bartsch, seine Äußerungen im Lichte unserer programmatischen Verortung als Partei DIE LINKE zu bedenken:

Wir wollen alle gesellschaftlichen Verhältnisse überwinden, in denen Menschen ausgebeutet, entrechtet und entmündigt werden und in denen ihre sozialen und natürlichen Lebensgrundlagen zerstört werden.

Wir appellieren an alle Linken, die sich in den vergangenen Wochen bedingungslos hinter die Polizei gestellt haben, ihre einseitigen Stellungnahmen zu überdenken, den Mangel an grundlegenden Kontrollmöglichkeiten der Polizei im Sinne der Gewaltenteilung zu hinterfragen und der Lebensrealität der vielen Menschen Rechnung zu tragen, in deren Wahrnehmung polizeiliches Handeln oft mit persönlicher Angst und Ohnmacht verbunden ist und die Polizei als Institution aus guten Gründen umfassend reformiert werden sollte.

Das linXXnet im Juli 2020

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20 Jahre linXXnet

Wie Ihr bestimmt wisst, ist unsere Party zum 20. Jubiläum verschoben worden. Das hat natürlich direkt und indirekt mit Corona zu tun, weswegen uns da auch keine Wahl blieb. Aber dennoch betrachten wir es nur als verschoben und versprechen natürlich, dass sie nachgeholt wird.

Bis dahin gibt es, quasi vorab, hier schon mal einen kleinen Film über uns, das linXXnet, für Euch.

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linXXnet-talXX als Video

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Erste Stadtteilversammlung in Leipzig-Connewitz: Ein gelungenes Experiment

Stadtteilversammlung ConnewitzAm Sonntag, 12. Mai lud das linXXnet zu einer Stadtteilversammlung in das Haus der Begegnung neben der Asylunterkunft in der Arno-Nitzsche-Str. 37 ein.

Die Veranstaltung verstand sich als Fortführung der Diskussion zu Graffiti & teuren Neubauten, die im Dezember 2018 im UT Connewitz stattgefunden hatte (https://www.youtube.com/watch?v=KGIe2jnCIRo). In diesem Rahmen wurde kontrovers über Graffiti im öffentlichen Raum als Kunst, Protestform und Ärgernis diskutiert. Sowohl Graffiti-Aktivist*innen, Hausbesitzer*innen als auch zahlreiche Bewohner*innen des Stadtteils beteiligten sich an der Debatte.

Die Stadtteilversammlung griff verschiedene in dem Rahmen angesprochene Themen auf. Im Fokus standen Mieten/Wohnen, Ordnungspolitik und die Situation von in Kultur- und Gastro Tätigen.

Der Grundansatz des Formats der Stadtteilversammlung war und ist die Bewohner*innen des Viertels mit ihren verschiedenen Perspektiven, Wünschen und Kritiken ins Gespräch zu bringen und gemeinsam, von unten Ideen und Lösungen auf den Weg zu bringen.

Klar: Connewitz ist ein besondere Stadtteil. Eine bewegte Geschichte und zahlreiche politische und kulturelle Projekte prägen Bild und Wahrnehmung. Gleichzeitig gibt es eine massive mediale und ordnungspolitische Stigmatisierung. Die Bewohner*innenschaft des Viertels ist heterogener als es sowohl öffentliche Darstellung als auch Selbstverständnis von politischen Aktiven suggerieren.

Auch hier wohnen zahlreiche ältere Menschen, junge Familien, prekäre, aber auch gut verdienende Menschen mit verschiedenen Perspektiven auf gesellschaftliche Herausforderungen. Es eint sie, dass sie hier ihren Lebensort gefunden haben, den sie schätzen, an dem sie wohnen und den sie gestalten wollen.
Die sozialen und stadtentwicklungspolitischen Herausforderungen machen auch vor Connewitz nicht halt. Steigende Mieten, der Verlust an Grünflächen und Freiräumen, prekäre Arbeitsverhältnisse, Altersarmut und die Verrohung des Miteinanders sind auch hier anzutreffen.
Zu Beginn der Stadtteilversammlung am 12. Mai, an der zirka 60 Menschen teilnahmen, standen kurze Impulse von Akteuren aus Connewitz und darüber hinaus:

Die Mietsprechstunde Süd warf einen Blick auf Fälle aus ihrer Beratungstätigkeit und plädierte für eine stärkere Organisierung von Mieter*innen, ein Vertreter des Haus- und Wagenrat und der SOWO-Genossenschaft zeigte Modelle auf, die auf Übernahme von Häusern in kollektive, gemeinnützige Verwaltung orientieren.

Im zugehörigen Workshop wurde u.a. über die Mieter*innenkämpfe der Thierbacher Straße 6 und Kochstraße 124 diskutiert, aber auch das Fehlen bezahlbaren Wohnraums thematisiert. Die erarbeiteten Forderungen sind hier aufgeführt:

Wohnen und Mieten

 

Zu ordnungspolitischen Strategien führten eine Vertreterin vom Machtlos e.V. und die Wissenschaftlerin Stephanie Schmidt ein. Hier ging es um die massive Polizeipräsenz im Viertel, die sich aktuell auch durch Fußstreifen der Bereitschaftspolizei, schon über 5 Jahre durch einen „eigenen“, durchaus umstrittenen Polizeiposten und seit 20 Jahren durch polizeiliche Dauervideoüberwachung ausdrückt. Der kriminalisierende Umgang von Ordnungsbehörden mit dem Viertel hat negative Effekte auf sozial Deklassierte und Migrant*innen, die schneller ins Visier geraten, aber auch für den linken Lebensstil. Soziale Probleme, wie zum Beispiel auch Entmietung, werden als Sicherheitsprobleme behandelt und „weggeordnet“ statt gelöst.

Forderungen aus dem Panel:

Ordnungspolitik

 

Zum Thema Kultur und Gastro gaben Vertreter*innen aus dem PIVO und aus dem UT ihre Perspektiven in die Runde. Im Kiez arbeiten sowohl gewerblich organisierte Läden, als auch solche, die auf ehrenamtlicher Arbeit basieren. Themen waren hier sowohl Transparenz über die Kosten, die hinter dem Bierpreis stehen (Miete, Entlohnung) als auch das harte Brot von Kulturarbeit, die mit und auch ohne Förderung arbeiten muss. Auf der anderen Seite steht die Frage des Zugangs zu Geselligkeit und Kultur, auch für die, die keine Kohle haben. In dem Panel wurde auch stark über grundsätzliche Konflikte gesprochen: Wer definiert die „Gesetze“ des Kiezes und setzt diese durch. Warum wird so wenig kommuniziert und oft gleich „durchgegriffen“. Fehlen dafür Räume? Und warum sind bei der Versammlung nicht mehr verschiedene Perspektiven vertreten? Die Ergebnisse finden sich hier:

Bier und Kultur

 

Unterm Strich lässt sich festhalten: Das Experiment einer ersten Stadtteilversammlung hat funktioniert. In den Panels wurden Probleme transparent und Lösungswege skizziert. Unter vielen Teilnehmenden gab es Optimismus, dass ein solches Format des Zusammentreffens, Vernetzens und Diskutierens durchaus eine wichtige Basis für das Zusammenleben und Gestalten im Stadtteil sein kann.

Ergo: Wir werden es erneut versuchen und laden herzlich ein Mitzuwirken.

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